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TEXT   Stefanie Syren

Man kennt diese Ausdruck – wird er benutzt, ist das meist als Kompliment gemeint. In der Mode zurückhaltend gekleidet zu sein oder als Firmenchef einen Kleinwagen zu fahren, vermittelt Understatement. Auch einem Garten steht es gut, wenn nicht alles, was möglich wäre, auch gepflanzt oder gebaut wird. 

Der Duden definiert Understatement als „(bewusste) Untertreibung“ – das in Klammern gesetzte Wort ist in diesem Fall wichtig. Wer mehrere Möglichkeiten kennt und umsetzen könnte, sich aber bewusst für eine zurückhaltendere Variante entscheidet, pflegt Understatement. Und was bedeutet das übertragen auf den Garten? Heiko Lüttge, Geschäftsführer bei Esken & Hindrichs, Gärtner von Eden in Leichlingen, sieht Understatement auch im Grünen positiv: „Ich verstehe darunter einen in sich ruhenden Garten, der bezogen auf Farben und Formen leise auftritt.“ Auch Andreas Schweiger sieht darin Harmonie ohne vordergründige Effekte. Der Inhaber von Schweiger Gärtner von Eden in Moosburg an der Isar gestaltet einen Garten dann mit folgendem Ziel: „Er soll so natürlich und stimmig wirken, als wäre er immer schon da gewesen.“ Ein unaufdringliches Design bietet nicht nur ästhetische Vorzüge, sondern verändert die Art und Weise, wie der Garten erlebt wird.

Andreas Schweiger
»Wenn ich mich im Garten auf das Wesentliche beschränke, hat dort jedes Element auch seine Funktion.«
Grüne Umarmung und Ruhepool

Heiko Lüttge sieht in kontemplativen Gartenkonzepten eine logische Konsequenz aus der Reizüberflutung der heutigen Zeit: „In unserer schnelllebigen Welt wird der Garten zum Rückzugsort. Ich spreche da gerne von einer grünen Umarmung. Durchatmen und Zur-Ruhekommen stehen hier im Vordergrund.“ Die Außenwirkung ist weniger wichtig: Eine so konzipierte Anlage muss nichts beweisen und keine Signale senden. Statt zu repräsentieren hat der Garten die Aufgabe, seinem Besitzer gut zu tun. Dazu ist es nicht nötig, möglichst viele Attraktionen unterzubringen. Ein Garten, der nicht zu „gewollt“ gestaltet wirkt, erfordert viel Fingerspitzengefühl bei der Planung. Das ist zugleich das Paradox jener Gärten: Damit sie nonchalante Selbstverständlichkeit ausstrahlen, müssen sie besonders sorgfältig konzipiert werden.

Wie bei diesem Wollziest (Stachys byzantina) überzeugen in Understatement-Gärten die Pflanzen meist nicht durch knallbunte, große Blüten, sondern durch Details.
Den Schlauchcharakter aufbrechen
Alles andere als langweilig: Die Massenpflanzung von Japan Waldgras (Hakonechloa macra) bringt fast meditative Ruhe in den Garten und sorgt gleichzeitig für ganz viel Bewegung.
Die Materialien sind hochwertig, die Pflanzung üppig, dennoch überzeugen beide vor allem duch ihre Schlichtheit
Im Detail vielfältig, in der Gesamtschau aber reduziert ist diese Sitzgruppe, die zusammen mit den großformatigen hellen Bodenplatten die Terasse zu einem überaus harmonischen Ort macht
Die Kunst des Weglassens

Patentrezepte für Understatement im Garten gibt es keine, ein paar Grundprinzipien gelten aber schon: Andreas Schweiger achtet auf „eine reduzierte und zurückhaltende Form der Gestaltung, in der das Wesentliche zählt.“ Statt farblicher Effekte sind die Strukturen wichtig, damit ein zurückhaltender Garten nicht langweilig oder unterkühlt wirkt: „Das Spiel mit Höhenunterschieden ist zum Beispiel eine subtile Möglichkeit, um Räume zu schaffen und wenn ich mich im Garten auf das Wesentliche beschränke, hat dort jedes Element auch eine Funktion. Ein Solitär in Schirmform dient zum Beispiel an der Terrasse als Schattenspender und bietet Geborgenheit.“ Die Suche nach der Essenz, dem wirklich Wichtigen, sieht Heiko Lüttge als Herausforderung: „Das Weglassen ist das Schwierigste im Leben.

Das gilt auch für den Garten.“  Besonders deutlich wird das bei bereits bestehenden Gärten. Dort geht es um die wertschätzende Aufmerksamkeit für das Vorhandene und um Entscheidungen. Was bleibt? Was geht? Was könnte werden? Diese Fragen erfordern Präsenz, findet Heiko Lüttge: „In vielen Gärten wächst eine große Anzahl verschiedener Pflanzenarten sehr dicht und ohne Bezug zueinander. Dann findet das Auge keine Ruhe mehr. Damit sich das ändert, muss ich den Garten besuchen und genau hinsehen.“ Vor Ort lässt sich am besten beurteilen, welche Gehölze und Stauden und welche baulichen Elemente den Garten weiterhin prägen werden.   

Zutaten für Zurückhaltung

Was neu gepflanzt und gebaut wird, ist zwar individuell verschieden, doch die Maxime „Weniger ist mehr“ dient auch bei der konkreten Wahl von Materialien und Pflanzen als Leitplanke für gestalterische Konzepte. Andreas Schweiger vermeidet verspielte Formen oder starke Farbkontraste und verwendet gerne weiß blühende Sorten. Auch bei der Wahl der Materialien gilt es konsequent zu bleiben und statt eines Flickenteppichs der verschiedenen Möglichkeiten jenes Material zu wählen, das am besten zu Haus und Garten passt. Heiko Lüttge sieht in einem in sich ruhenden Gesamtkonzept auch die Wertschätzung für die Pflanze erhöht: „Dadurch werden Strukturen und Grüntöne gewürdigt. Ich denke da zum Beispiel an Pflanzen wie das Kaukasische Vergissmeinnicht, Farne und Gräser, die ein Beet mit ihren unterschiedlichen Blattformen sehr lange bereichern. Wichtig ist auch ein grüner  Hintergrund, wie ihn eine Eibenhecke bietet.“ Diese Szenerie ist ruhig genug, um „leisere Töne“, wie sie die Formen und Oberflächen der Blätter bieten, zur Geltung kommen zu lassen.

Klingt gut, aber Sie mögen es gerne bunt und freuen sich jeden Frühling auf ein Blütenmeer aus Tulpen? Dann genießen Sie es weiterhin! Ein Garten muss nicht das ganze Jahr über Zurückhaltung vermitteln oder in eine bestimmte Schublade passen. Im Frühling sieht er anders aus als im Sommer und genau das macht seinen Reiz aus. Wenn zumindest das Grundkonzept unaufgeregt ist, steht das aber jedem Garten gut: Ruhige Strukturen lassen andere Darsteller aufleuchten oder -blühen und übernehmen die eigene, tragende Rolle ganz selbstverständlich wieder, sobald die letzte Tulpe verblüht ist. Auch das ist Understatement.

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